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Schweizer design & kultur: innovation trifft tradition

Auf engem Raum treffen in der Schweiz alpine Landschaften auf dichte Städte, vier Sprachkulturen auf gemeinsame Werte und jahrhundertealte Handwerkskunst auf Forschungslabore. Aus dieser Mischung entsteht eine Gestaltungskultur, die nicht laut auftreten muss, um im Gedächtnis zu bleiben. Sie wirkt durch Präzision, Haltung und das Auge für das Sinnvolle. Und durch den Mut, Bestehendes weiterzudenken.

Das Bild, das viele im Kopf haben, ist nicht falsch: eine Uhr, die auf die Minute genau geht; ein Messer, das sicher in der Hand liegt; eine Schrift, die sich nicht in den Vordergrund drängt und gerade deshalb überall funktioniert. Doch hinter diesen Ikonen stehen konkrete Entscheidungen, Netzwerke und eine Kultur des Lernens, die von der Werkbank bis zur Hochschule reicht.

Was Gestalten in der Schweiz so eigenständig macht

Schweizer Design ist kein Stilzwang, sondern eine Haltung. Sie zeigt sich in klarer Reduktion, aber selten in Kälte. Sie respektiert Materialien, setzt auf Wiederholbarkeit und denkt an die Nutzenden. Und sie lässt Raum für Poesie.

Leitlinien, die man immer wieder findet:

  • Präzision ohne Pedanterie
  • Reduktion, die Inhalt und Funktion stärkt
  • Materialehrlichkeit und gute Verarbeitung
  • Modularität statt Wegwerfmentalität
  • Rücksicht auf Umgebung, Klima und Ressourcen
  • Respekt vor der Nutzung im Alltag

Ein Grund dafür liegt im Bildungssystem. Der Weg über die Lehre in Werkstätten und Betrieben ist so angesehen wie der über Hochschulen. Viele Gestalterinnen und Gestalter kennen die Produktionsrealität aus eigener Erfahrung. Das schafft Lösungen, die tragfähig sind.

Genauso wichtig ist der kulturelle Mix. Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch prägen Perspektiven und Präferenzen. In Zürich entstehen andere Formensprachen als in Lausanne, in Lugano andere Materialien als in Basel. Der Austausch ist rege und produktiv.

Raster, Schrift und Plakat: die Schule des Klaren

Der internationale Typografische Stil, oft als Swiss Style bezeichnet, hat die visuelle Kultur des 20. Jahrhunderts geprägt. Sein Versprechen: Inhalte klar ordnen, Lesbarkeit ernst nehmen, Typografie als tragendes Gerüst verstehen.

Namen, die damit verbunden sind:

  • Josef Müller-Brockmann mit seinen strengen, hochwirksamen Plakaten
  • Max Bill, Künstler, Gestalter und Stratege der Reduktion
  • Emil Ruder und Armin Hofmann, die in Basel Typografie und Grafik neu lehrten
  • Adrian Frutiger, dessen Schriften Orientierungssysteme weltweit prägen
  • Max Miedinger und Eduard Hoffmann mit Helvetica, einer Schrift ohne Manierismen

Das Raster dient dabei nicht als Fessel, sondern als Bühne. Wer einmal eine klar strukturierte Bahnsteigtafel, eine Bedienoberfläche mit konsequenter Hierarchie oder ein Plakat mit präzisem Weißraum erlebt hat, spürt, wie ordnende Gestaltung entspannt. Schweizer Grafik sucht nicht den Effekt, sondern die Wirkung über Zeit.

Ikonen des Alltags

Ein Land wird an seinen Alltagsdingen erkannt. In der Schweiz sind viele davon erstaunlich langlebig.

  • Die Bahnhofsuhr der SBB: 1944 von Hans Hilfiker entworfen, später von Mondaine in die Wohnzimmer geholt. Der rote Sekundenzeiger orientiert sich an der Kelle der Zugchefs. Ein kleines Detail, das Identität schafft.
  • Das Schweizer Taschenmesser: Victorinox und Wenger haben ein Werkzeug zur Kulturtechnik gemacht. Kein Schnickschnack, nur Funktionen, die immer wieder nützlich sind.
  • USM Haller: Ein modulares Möbelsystem aus Stahlrohr und Kugelverbindern. 1963 entworfen von Fritz Haller und Paul Schärer, bis heute erweitert und reparierbar. Ein Möbel, das mit Nutzerinnen und Nutzern mitwächst.
  • Freitag Taschen: Aus gebrauchten LKW-Planen, Fahrradschläuchen und Sicherheitsgurten entstehen Unikate mit langer Lebensdauer. Kreislaufdenken ohne Moralkeule, dafür mit robustem Humor.
  • SBB Wayfinding und Typografie: Jahrzehntelang prägte Frutiger die Lesbarkeit von Bahnhöfen. Heute setzt die SBB auf eine eigene Schriftfamilie, abgestimmt auf analoge und digitale Anwendungen.
  • Uhren aus dem Vallée de Joux, Le Locle und La Chaux-de-Fonds: Werkstätten, die an Mikromechanik feilen, flankiert von Ausbildungsstätten und Museen. Präzision als Kulturleistung.
  • On Laufschuhe: Materialforschung, neue Dämpfungskonzepte und ein klares Markenbild zeigen, wie Technologie und Design zusammenfinden.

All diese Produkte sind nicht nur schön. Sie funktionieren, altern gut und prägen Gewohnheiten. Genau darin liegt ihre Kraft.

Regionen, Materialien, Sprachen

Vier Sprachräume, viele Landschaften und jahrhundertealte Gewerbe. Der regionale Blick schärft das Verständnis.

Region Gestaltungssprache Materialkultur Beispiele und Hinweise
Zürich und Umgebung Klar, technisch, markenstark Stahl, Glas, neue Kunststoffe Museum für Gestaltung, ZHdK, zahlreiche Agenturen
Basel Grenzüberschreitend, experimentierfreudig Chemie, Biotech, Papier, Karton Plakatkultur, Papiermühlen, Nähe Vitra Campus
Romandie Poetisch-pragmatisch, grafisch sensibel Uhrwerk, Textil, Fotografie ECAL Lausanne, Musée de l’Elysée, Watch Valley
Tessin Warm, materialnah, mediterrane Tendenzen Stein, Holz, Putz, Sichtbeton Tendenza-Architektur, Handwerk mit Landschaftsbezug
Graubünden Reduktion mit Tiefe, taktil Holz, Schiefer, Filz, Naturfasern Therme Vals, Sgraffito, kleine Manufakturen
Bern und Mittelland Solide, langlebig, bürgernah Metall, Möbelbau, Leder USM Haller, Bundesgrafik, Handwerksschulen

Die Liste ist kein Dogma. Sie zeigt, wie stark Umgebung und Ressourcen die Form beeinflussen. Wer in den Bergen baut, denkt anders über Wandstärken, Klima und Details als im Flachland. Wer im französischsprachigen Raum arbeitet, arbeitet mit anderen Referenzen als in der Deutschschweiz. Vielfalt ist kein Widerspruch, sondern Antrieb.

Architektur zwischen Berg und Stadt

Architektur in der Schweiz sucht Nähe zu Ort und Material. Selten egozentrisch, oft sorgfältig.

  • Peter Zumthor zeigt, wie Raum, Licht und Material zu Erfahrung werden. Die Therme Vals nutzt Valser Quarzit, geschichtet und ruhig. Nichts schreit, alles wirkt.
  • Herzog und de Meuron schaffen Bauwerke, die mit Kontext arbeiten. Das Kräuterzentrum von Ricola setzt auf Stampflehm und regionale Lieferketten. Technik ja, aber als Helferin des Ausdrucks.
  • Wohnbaugenossenschaften in Zürich oder Basel erproben gemeinschaftliche Formen des Zusammenlebens. Grundrisse, die Alltag entlasten, und Freiräume, die Begegnung erlauben.
  • Der Baustandard Minergie setzt seit Jahren Maßstäbe bei Energieeffizienz und behaglichem Innenklima. Gute Technik, gut integriert.

Auffällig ist der ernsthafte Umgang mit Bestand. Um- statt Neubau, Einsparung grauer Energie, geschickte Erweiterungen. Das passt zur Reparaturkultur vieler Schweizer Produkte.

Orte des Lernens und Erlebens

Wer die Gestaltungskultur erleben will, muss nicht lange suchen.

  • Museum für Gestaltung Zürich mit Sammlungen zu Grafik, Design, Plakat
  • mudac Lausanne mit Fokus auf Design und angewandte Kunst
  • Musée International d’Horlogerie in La Chaux-de-Fonds
  • Design Miami Basel und Art Basel als Schaufenster der Gegenwart
  • Zurich Design Weeks mit Stadtspaziergängen, Ausstellungen, Studios
  • ECAL in Lausanne und ZHdK in Zürich als Hochschulen mit internationaler Ausstrahlung
  • Empa und NEST in Dübendorf als Versuchsfeld für Bauen und Energie

Spannend ist der Dialog zwischen Museen, Schulen und Industrie. Studierende entwerfen mit Unternehmen Prototypen, Museen zeigen Prozess und Ergebnis, Betriebe geben Rückmeldung aus der Praxis.

Technologie, Kreislauf und Verantwortung

Innovation ist in der Schweiz selten Selbstzweck. Sie soll ein Problem lösen, Zeit sparen, Material schonen oder Komfort sinnvoll erhöhen.

  • Materialforschung: Von Hochleistungskeramik bis zu biobasierten Verbundstoffen. Forschungseinrichtungen und Startups arbeiten eng zusammen.
  • Energie und Bauen: Passive Kühlung, adaptive Fassaden, Monitoring für Gebäudebetrieb. Minergie und SIA-Normen liefern Rahmen und Anreize.
  • Kreislaufdenken: Reparaturfähigkeit wird zum Kriterium. USM und bestimmte Möbelhersteller beweisen, dass Ersatzteile und modulare Systeme ein Geschäftsmodell tragen.
  • Mobilität: Bahn, Tram, Fahrrad und Fußwege werden so verknüpft, dass Gestaltung Orientierung schafft statt zu überfordern. Wayfinding, Licht und Möblierung greifen ineinander.
  • Digitale Produkte: Apps und Services folgen oft dem Credo der stillen Helfer. Klare Interfaces, wenig Reibung, Fokus auf Kernnutzen.

Das alles geschieht nicht im Vakuum. Direkte Demokratie, starke Gemeinden und ein breiter Konsens für gute Infrastruktur schaffen Rahmenbedingungen, in denen Qualität zählt.

Arbeitsweisen: vom Atelier zum Netzwerk

Viele Schweizer Studios sind klein und hochspezialisiert. Sie arbeiten projektbezogen mit externen Partnern, Werkstätten und Forschungsgruppen. Diese Netzstruktur macht sie beweglich.

Typische Muster:

  • Prototypen, die im Maßstab 1 zu 1 getestet werden
  • Enge Taktung zwischen Entwurf, Feedback und Anpassung
  • Frühzeitige Einbindung von Produktion und Montage
  • Respekt vor dem Handwerk und seinen Grenzen
  • Dokumentation, die Wissen im Team hält

Eine Kultur der ruhigen Iteration führt zu Ergebnissen, die auch nach Jahren wirken. Nicht jede Lösung ist spektakulär. Aber viele überstehen Moden.

Typografie im öffentlichen Raum: Ordnung, die trägt

Die Schweiz hat eine seltene Dichte an typografisch gut gestalteten öffentlichen Systemen. Das beginnt bei der Bushaltestelle, geht über die Bahnhofsleitsysteme bis zu Fakultätsgebäuden.

Warum das gelingt:

  • Schriftwahl nach Einsatzbedingungen: Lesbarkeit bei Bewegung, bei Regen, im Gegenlicht
  • Hierarchien, die auf Entfernung funktionieren: große Ebenen für die Ferne, Details aus der Nähe
  • Piktogramme, die nicht verniedlichen, sondern präzisieren
  • Kontraste, die Sehschwächen mitdenken

Solche Systeme sind anspruchsvoll, aber sie zahlen sich aus. Wer selten falsch läuft, kommt entspannter an.

Handwerk heute: von der Stube zum Studio

Traditionen bleiben lebendig, wenn sie sich öffnen. Messerhersteller, Filzwerkstätten, Stickereien, Holz- und Steinbetriebe kooperieren mit jungen Entwerfenden. Dabei entsteht Neues, das die Handschrift des Materials bewahrt.

  • St. Galler Stickerei findet Anwendungen in High Fashion und Medizintechnik
  • Bündner Holzbau setzt digitale Fertigung ein und bleibt doch sinnlich
  • Tessiner Naturstein mit modernen Oberflächen für Außenräume
  • Appenzeller Zierde und Lederarbeiten im Dialog mit zeitgemäßem Produktdesign

Diese Betriebe sind nicht nostalgisch. Sie kalkulieren präzise, investieren in Maschinen und suchen langfristige Beziehungen.

Eine kurze Zeitleiste prägender Momente

  • 1907: Gründung des Schweizerischen Werkbunds, Debatten über gute Form
  • 1944: SBB-Bahnhofsuhr von Hans Hilfiker
  • 1957: Helvetica nimmt Fahrt auf
  • 1963: USM Haller startet als Möbel für die eigene Fabrik
  • 1984: Eröffnung des Museums für Gestaltung am neuen Standort Tonhalleareal
  • 1993: Freitag produziert erste Taschen aus LKW-Planen
  • 1996: Therme Vals von Peter Zumthor öffnet
  • 2010: Gründung von On, Laufsohle mit Hohlfeder-Elementen
  • 2014: Ricola Kräuterzentrum mit Stampflehm in Laufen
  • 2020er: SBB erneuert Schriftfamilie und digitale Leitmedien

Die Auswahl ist subjektiv. Sie macht sichtbar, wie konstant der Faden von Qualität, Reduktion und Alltagstauglichkeit durch die Jahrzehnte läuft.

Praktische Impulse für Teams

Wer den Geist dieser Gestaltungskultur in eigene Projekte tragen will, kann mit einfachen Routinen beginnen.

  • Nutze ein Raster, aber probiere drei Varianten, bevor du dich festlegst
  • Entscheide dich für ein Material und lerne seine Grenzen kennen
  • Plane Reparaturpunkte und Ersatzteile vom Start weg ein
  • Teste mit echten Nutzenden im Umfeld, in dem das Produkt später lebt
  • Schreibe die Regeln deiner Typografie auf einer Seite zusammen
  • Entferne jedes Element einmal und prüfe, ob es vermisst wird
  • Dokumentiere Entscheidungen, nicht nur Ergebnisse

Eine Stunde Materialtest kann mehr klären als zehn Skizzen. Ein Besuch in der Werkstatt löst oft jene Fragen, die im Meeting keiner stellt.

Kultur über den Konsum hinaus

Man kauft nicht nur ein Produkt. Man kauft Pflege, Reparatur, Upgradepfade und eine Haltung. Schweizer Marken kommunizieren das oft leise, aber verbindlich.

  • Lange Garantiezeiten und guter Service
  • Zugriff auf Ersatzteile über Jahre
  • Klare Aussagen zum Ursprung von Komponenten
  • Zurücknahme oder Second-Life-Programme

Das erzeugt Vertrauen. Und Vertrauen ist ein mächtiger Rohstoff.

Stadt, Land, Alpen: drei Szenarien für gutes Gestalten

  • Stadt: Dichte fordert Klarheit. Robustheit zählt mehr als Effekt. Wegweisung, Licht, Möbel und Grünflächen bilden ein System, kein Sammelsurium.
  • Land: Weniger ist mehr. Bestehendes nutzen, behutsam erweitern, Sichtachsen respektieren. Materialien aus der Nähe.
  • Alpen: Klima und Topografie bestimmen Details. Schutz, Wärme, Trittsicherheit, Wartbarkeit. Schönheit entsteht aus Funktion und Ort.

Wer diese Unterschiede ernst nimmt, gestaltet weniger für das Portfolio und mehr für die Menschen.

Fragen, die weitertragen

  • Welche Funktion verschwindet, ohne vermisst zu werden?
  • Wo lässt sich Gewicht oder Material einsparen, ohne an Lebensdauer zu verlieren?
  • Welche Reparatur ist realistisch und wer führt sie durch?
  • Wie sieht das Produkt nach fünf Jahren Nutzung aus?
  • Welche Schrift bleibt lesbar, wenn man rennt?
  • Welches lokale Material wartet noch auf seine zeitgemäße Anwendung?
  • Wie wird aus dem Prototyp ein zuverlässiger Begleiter des Alltags?

Schweizer Design und Kultur zeigen, dass klare Fragen oft zu klaren Antworten führen. Und dass aus Respekt vor Material, Mensch und Umgebung eine Ästhetik entsteht, die bleibt.

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